Rheuma Erkrankungen

Klassifikations- und Kriteriensammlung Teil I

Allgemeines

Die nachfolgend angeführten Kriterien zur Diagnose von Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises dienen der Klassifikation bei wissenschaftlichen Untersuchungen und bei klinischen Prüfungen. Obwohl in ihrer Abfassung manchmal wie Kochrezepte erscheinend, bedarf es jedoch zu ihrer Anwendung eingehender rheumatologischer Erfahrung. Für die klinische Diagnostik am Einzelpatienten sind sie nur teilweise anwendbar.

Revidierte Kriterien des American College of Rheumatology (ACR, früher ARA) für die rheumatoide Arthritis

(Arnett FC, Edworthy SM, Bloch DA et al: The American Rheumatism Association 1987, revised criteria for the classification of rheumatoid arthritis. Arthritis Rheum 31: 315-324, 1988)

1. seit 6 Wochen bestehende Morgensteifigkeit in und um Gelenke von mindestens einer Stunde.

2. gleichzeitige Schwellung von 3 oder mehr Gelenksregionen durch mindestens 6 Wochen, beobachtet von einem Arzt.

3. Schwellung der proximalen Interphalangeal-, Metacarpophalangeal- oder Handgelenke durch mindestens 6 Wochen.

4. Symmetrische Gelenksschwellungen.

5. Rheumaknoten

6. Rheumafaktoren im Serum (nachgewiesen durch eine Methode, die in weniger als 5% der Normalpersonen positiv ist).

7. radiologische Veränderungen der Gelenke (typische Veränderungen der dorsovolaren Handaufnahme mit gelenknaher Osteoporose und/oder Erosionen der betroffenen Gelenke)

4 oder mehr Kriterien müssen für die Diagnose „Rheumatoide Arthritis“ vorhanden sein.

Klassifikation der funktionellen Kapazität bei rheumatoider Arthritis

(Hochberg MC, Chang RW, Dwosh I et all: The American College of Rheumatology 1991 revised Criteria for the classification of global functional status in rheumatoid arthritis. Arthritis Rheum 35: 498-502, 1992)

Klasse 1:
Komplette funktionelle Kapazität mit der Fähigkeit, alle notwendigen Anforderungen ohne Einschränkung durchführen zu können.

Klasse 2:
Funktionelle Kapazität entsprechend, um normale Aktivitäten trotz Behinderung oder eingeschränkter Beweglichkeit eines oder mehrerer Gelenke durchführen zu können.

Klasse 3:
Funktionelle Kapazität entsprechend, um nur wenige oder keine Tätigkeiten gewöhnlicher Beschäftigungen und der Körperpflege auszuführen.

Klasse 4:
Bettlägeriger oder an den Rollstuhl gebundener Patient, weitgehend oder zur Gänze unfähig, sich selbst zu versorgen.

 

Klassifikation der klinischen Stadien der rheumatoiden Arthritis

(Steinbrocker O, Traeger CH, Battermann RC: Therapeutic criteria in rheumatoid arthritis. JAMA 140: 659-662, 1949)

Stadium I – Frühstadium
1. Keine destruktiven Veränderungen radiologisch nachweisbar.
2. Radiologische Zeichen der Osteoporose dürfen vorhanden sein.

Stadium II – mäßig fortgeschritten
1. Radiologische Zeichen der Osteoporose mit oder ohne leichter subchondraler Knochendestruktion: leichte Knorpeldestruktion bereits vorhanden.
2. Keine Gelenksdeformitäten, aber Einschränkung der Gelenkbeweglichkeit
3. Begleitende Muskelatrophie
4. Extraartikuläre Weichteilläsionen, wie z.B. Rheumaknoten oder Tenosynovitiden können auftreten.

Stadium III – weit fortgeschritten
1. Radiologischer Nachweis von Knorpel- und Knochendestruktion, zusätzlich zur Osteoporose
2. Gelenksdeformitäten, wie z. B. Subluxationen, ulnare Deviation, Hyperextension ohne fibröse oder knöcherne Ankylose
3. Ausgeprägte Muskelatrophie
4. Extraartikuläre Weichteilläsionen wie in Stadium II

Stadium IV – Endstadium
1. Fibröse oder knöcherne Ankylose
2. Alle Kriterien von Stadium III

Aktualisierte Jones-Kriterien zur Diagnose rheumatisches Fieber

(Jones criteria [updated] JAMA 1992, 268: 2069-2073)

Major-Kriterien:

Karditis - Polyarthritis - Sydenham-Chorea - Erythema marginatum - subkutane Knoten

Minor-Kriterien:
Klinische Symptome: Fieber, Arthralgien
Laborbefunde: Erhöhung der Akute-Phase-Reaktion (BSG, CRP, Leukozyten im Blutbild)
EKG: verlängertes P-R-Intervall

Hinweise auf einen vorausgegangenen Streptokokkeninfekt:

Streptokokkenantikörper-Titererhöhung (aktuell oder im Verlauf)
β-hämolytische Streptokokken Gruppe A im Rachenabstrich

Modifizierte Klassifikationskriterien 1982 und 1997 für den Systemischen Lupus erythematodes

(Tan EM, Cohen AS, Fries JF et al: The 1982 revised criteria for the classification of systemic lupus erythematodes. Arthritis Rheum 25: 1271-1277, 1982; Hochberg MC et al: Updating the American College of Rheumatology Revised Criteria for the Classification of Systemic Lupus Erythematodes. Arthritis Rheum 40: 1725, 1997)

Definitionen der Klassifikationskriterien:

1. Schmetterlingsexanthem:
Fixiertes Erythem, flach oder erhaben, über den Backenknochen, die Nasolabialfalten aussparend

2. Diskoides Exanthem:
Erythematöse, erhabene Flecken mit adhärenter, keratotischer Schuppung und follikulärer Verzahnung; atrophe Vernarbung kann bei älteren Läsionen vorkommen.

3. Photosensibilität:
inadäquate Hautrötung nach Sonnenexposition, anamnestisch oder durch den Arzt beobachtet.

4. Orale Ulzera:
Orale oder nasopharyngeale Ulcera, gewöhnlich schmerzlos; durch den Arzt beobachtet.

5. Arthritis:
Non-erosive Arthritis, 2 oder mehr Gelenke betreffend, charakterisiert durch Druck- und Bewegungsschmerz, Schwellung oder Erguss.

6. Serositis:
a) Pleuritis, typische pleuritische Schmerzanamnese oder Pleurareiben (diagnostiziert vom Arzt) oder Pleuraerguss
b) Perikarditis – dokumentiert durch Echokardiogramm oder Evidenz von Reibgeräuschen oder Perikarderguss.

7. Nephropathie:
a) Persistierende Proteinurie, größer als 0,5 g/die oder größer als 3+ positiv, falls keine Quantifizierung erfolgte oder
b) zelluläre Zylinder jeglichen Typs

8. ZNS-Beteiligung:
a) Anfallsleiden bei Fehlen von auslösenden Medikamenten oder metabolischen Störungen (Urämie, Ketoazidose oder Elektrolytentgleisung) oder
b) Psychosen bei Fehlen von auslösenden Medikamenten oder metabolischen Störungen

9. Hämatologische Veränderungen:
a) Hämolytische Anämie – mit Retikulozytose oder
b) Leukopenie – weniger als 4.000/mm³ bei 2 oder mehr Bestimmungen oder
c) Lymphopenie – weniger als 1.500/mm³ bei 2 oder mehr Bestimmungen oder
d) Thrombozytopenie – weniger als 100.000/mm³ bei Fehlen auslösender Medikamente

10. Immunologische Störungen:
a) DNA-Antikörper: abnorme Antikörpertiter gegen dsDNA oder
b) Anti-Sm: Vorhandensein von Antikörpern gegen Sm-Kernantigen oder
c) Positive Antiphospholipidantikörper auf Basis 
- eines abnormen Serumspiegels von IgG- oder IgM-Antikardiolipinantikörper,
- eines positiven Tests auf Lupus-Antikoagulans mit einer Standardmethode und
- eines falsch positiven Tests auf Syphilis durch mindestens 6 Monate und bestätigt durch einen Treponema-pallidum-Immobilisationstest oder Fluoreszenz-Treponema-Antikörperabsorptionstest

11. Antinukleäre Antikörper:
Erhöhter Titer antinukleärer Antikörper in der Immunfluoreszenz oder einem äquivalenten Assay zu jedem Zeitpunkt – bei Ausschluss von Medikamenten, die ein Drug-induced–Lupussyndrom auslösen können.

Für die Diagnose müssen 4 der 11 Kriterien simultan oder in Serie während des Beobachtungszeitraumes vorhanden sein.

Vorläufige Kriterien für die Klassifikation der Sklerodermie

(Masi AT, Rodnan GP, Medsger Jr TA et al: Preliminary criteria for the classification of systemic sclerosis [scleroderma]. Arthritis Rheum 23: 581-590, 1980)

Hauptkriterium

Proximale Sklerodermie:
Symmetrische Verdickung, Versteifung und Verhärtung der Haut im Bereich der Finger und proximal der metakarpophalangealen und metatarsophalangealen Gelenke. Die Veränderungen können die gesamte Extremität, das Gesicht, den Nacken und den Stamm betreffen.

Nebenkriterien

1. Sklerodaktylie: Oben angeführte Hautveränderungen sind nur auf die Finger beschränkt

2. Eingezogene Narben im Bereich der Finger oder Substanzverlust an der Fingerbeere als Folge der Ischämie

3. Bibasale pulmonale Fibrose: Bilateral netzförmiges Muster oder lineäre oder noduläre Verdichtungen, meist basal verstärkt, im Thoraxröntgen (kann das Bild eines diffusen Netzes oder einer Honigwabenlunge annehmen). Diese Veränderungen sollten nicht einer primären Lungenkrankheit zugeschrieben sein. 

Gesicherte Diagnose bei Vorliegen des Hauptkriteriums oder mindestens 2 Nebenkriterien.


Lokalisierte Formen der Sklerodermie, eosinophile Fasziitis und verschiedene andere Formen der Pseudosklerodermie sind von diesen Kriterien ausgeschlossen.

Vorläufige Kriterien für die Klassifikation des Sjögren-Syndroms

(Vitali C, Bombardieri S, Moutsopoulos HM et al: Preliminary criteria for the classification of Sjögren´s syndrome. Arthritis Rheum 36: 340-347, 1993)

1. Augensymptome

Definition:
Positive Antwort auf mindestens 1 der folgenden 3 Fragen:
a) Haben Sie täglich andauernd störend trockene Augen für mehr als 3 Monate?
b) Haben Sie immer wieder ein Fremdkörpergefühl?
c) Benützen Sie eine Tränenersatzflüssigkeit mehr als 3mal täglich?

2. Orale Symptome

Definition:
Positive Antwort auf mindestens 1 der folgenden 3 Fragen:
a) Haben Sie täglich das Gefühl von Mundtrockenheit seit mehr als 3 Monaten?
b) Haben Sie als Erwachsener immer wieder oder ständig geschwollene Speicheldrüsen?
c) Trinken Sie häufig als Hilfe beim Schlucken trockener Speisen?

3. Augenbefunde

Definition:
Objektiver Nachweis einer Mitbeteiligung der Augen auf der Basis eines positiven Resultates von mindestens einem der folgenden beiden Tests:
a) Schirmer-Test < 5 mm in 5 Minuten
b) Rose-Bengal-Score > 4 (nach dem Van-Bijsterveld-Scoring-System)


4. Histopathologie

Definition:
Herdscore größer oder gleich 1 in einer Biopsie der kleinen Speicheldrüsen. (Herd definiert als die Ansammlung von mindestens 50 mononukleären Zellen; Herdscore definiert als die Anzahl von Herden in 4 mm² Gewebe.)

5. Speicheldrüsenbeteiligung

Definition:
Objektive Zeichen von Speicheldrüsenbeteiligung , definiert auf der Basis des Vorhandenseins zumindest eines positiven Ergebnisses folgender 3 Tests:
a) Szintigraphie der Speicheldrüse
b) Sialographie der Parotiden
c) Unstimulierter Speichelfluss kleiner oder gleich 1,5 ml in 15 Minuten

6. Autoantikörper

Definition:
Nachweis von mindestens 1 der folgenden Autoantikörper im Serum:
a) Ro/SS-A- oder La/SS-B-Auto-AK 
b) Antinukleäre Antikörper
c) Rheumafaktor

Ausschlusskriterien

Lymphom, AIDS, Sarkoidose, Graft-versus-host-disease.

Für die Diagnose eines Sjögren-Syndroms müssen 4 von 6 Punkten zutreffen (als serologischer Parameter gelten nur positive Antikörper gegen Ro/SS-A und La/SS-B).

Klassifikationskriterien für Dermatomyositis und Polymositis

(Tanimoto K, Nakano K, Kano S et al: Classification criteria for Polymyositis and Dermatomyositis. J Rheumatol 22: 668-674, 1995)

1. Hautveränderungen
- Heliotroper Ausschlag (purpurrotes, ödematöses Erythem der Oberlider)
- Gottron’s Zeichen (purpurrotes, keratotisches, atrophes Erythem, oder Maculae im Bereich der Fingergelenke)
- Erythem im Bereich der streckseitigen Hautoberfläche der Extremitätengelenke; leicht erhabenes, purpurrotes Erythem über Knie- oder Ellbogen-Gelenkn

2. Schwäche der proximalen Muskulatur (Obere und untere Extremitäten und Stamm)

3. Erhöhte Serum-CK (Creatinin-Kinase) oder Aldolase

4. Muskelschmerz auf Druck oder spontaner Schmerz

5. Myogene Veränderungen im EMG:
polyphasische Potentiale der motorischen Einheit mit spontanen Fibrillationspotentialen

6. Positive anti-Jo-1 (Histadyl-tRNA-Synthetase)-Antikörper

7. Nicht destruktive Arthritis oder Gelenksschmerzen

8. Systemische Entzündungszeichen (Fieber > als 37 °C axillär, erhöhter Serum-CRP-Spiegel oder beschleunigte BSG > 20 mm/Stunde nach Westergren).

9. Pathologische Veränderungen, die mit einer Muskelentzündung einhergehen (entzündliche Infiltration der Skelettmuskulatur mit Degeneration oder Nekrose der Muskelfasern, aktive Phagozytose, zentrale Nuclei oder Evidenz von aktiver Regeneration können beobachtet werden)


Mindestens eine Hautveränderung (Punkt 1) und 4 Veränderungen der Punkte 2-9 müssen für die Diagnose der Dermatomyositis zutreffen.

Mindestens 4 Veränderungen der Punkte 2-9 müssen für die Diagnose einer Polymyositis zutreffen.

Diagnostische Kriterien für das „Mixed connective tissue disease“ – Sharp-Syndrom

(Doria A, Chiradello A, Zambiasi P et al: Japanese diagnostic criteria for mixed connective tissue in Caucasian patients. J Rheumatol 19: 259-264, 1992)

Allgemeine Symptome

- Raynaud-Syndrom
- Diffuse Schwellung der Finger oder Hände (puffy fingers)
- Anti-U1-RibonucleoproteinAntikörper

Andere Veränderungen

A. SLE-artige Veränderungen:
- Polyarthritis
- Lymphadenopathie
- Gesichtserythem
- Perikarditis oder Pleuritis
- Leukopenie oder Thrombopenie

B. Sklerodermieartige Veränderungen:
- Sklerodaktylie
- Pulmonale Fibrose, restriktive Veränderungen, reduzierte Diffusionskapazität
- Hypomotilität oder Erweiterung des Ösophagus

C. Polymyositisartige Veränderungen:
- Muskelschwäche
- Erhöhte Muskelenzyme
- Myogene Veränderungen im Elektromyogramm

Die Diagnose kann gestellt werden, wenn die folgenden drei Bedingungen erfüllt sind:

1. Nachweis von 2 allgemeinen Symptomen
2. Positive Anti-U1-Ribonucleoprotein Antikörper
3. Nachweis von mindestens 1 Punkt in 2 der 3 Diagnosegruppen A bis C