Radiosynoviorthese
Grundsätzliches
Die Radiosynoviorthese (von Radiatio = Strahlenbehandlung, Synovialis = Gelenkinnenhaut, und Orthese = Richtigstellung, Wiederherstellung der richtigen Verhältnisse) ist die Verödung der Gelenkinnenhaut durch eine radioaktive Substanz. Diese Substanz wird als Flüssigkeit in das Gelenk gespritzt; das Vorgehen ist im Prinzip dasselbe wie bei jeder anderen Injektion in ein Gelenk. Allerdings sind wegen der Radioaktivität die Vorschriften und Vorsichtsmaßnahmen im Hinblick auf den Strahlenschutz für den Patienten ebenso wie für den durchführenden Arzt zu beachten. Früher wurden deshalb aus Strahlenschutzgründen die Radiosynoviorthesen sogar unter stationären Bedingungen und in vollständiger Isolation in besonders abgeschirmten Räumen in nuklearmedizinischen Abteilungen von Krankenhäusern durchgeführt. Heute erfolgen Radiosynoviorthesen in der Regel ambulant. Dies ist möglich, weil man für den Eingriff radioaktive Substanzen verwendet, die auf Grund ihrer speziellen Strahlungseigenschaften keine Gefährdung für andere Menschen mit sich bringen und die deshalb für die ambulante Therapie geeignet sind. Die zwei wichtigsten Eigenschaften dieser speziellen radioaktiven Substanzen sind ihre geringe Intensität (Eindringtiefe ins Gewebe/Reichweite der Strahlung) und ihre schnelle Abklingzeit. Die Reichweite der Strahlung und die damit verbundene Eindringtiefe ins Gewebe erfolgt nur auf kürzestem Raum und liegt in der Größenordnung von wenigen Millimetern. Die Halbwertszeit der radioaktiven Strahlung bzw. die Abklingzeit, in der die Substanz dann nicht mehr radioaktiv ist, d.h. nicht mehr strahlt, ist ebenfalls sehr kurz und liegt bei wenigen Stunden bis maximal einigen Tagen; d.h. nach diesem Zeitraum ist die radioaktive Strahlung wieder völlig abgeklungen und nicht mehr im Körper aktiv.
Je nach Größe des Gelenks werden unterschiedliche Substanzen verwendet, so z.B. Yttrium für das Knie oder die Hüfte, Rhenium für das Ellenbogengelenk oder andere mittelgroße Gelenke, und Erbium für kleine Gelenke wie die Fingergelenke oder Zehengelenke.
Radiosynoviorthesen wurden früher in erster Linie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, insbesondere der chronischen Polyarthritis/rheumatoiden Arthritis durchgeführt. Heute kommen Radiosynoviorthesen zunehmend auch bei der Behandlung von sogenannten aktivierten Arthrosen zum Einsatz.
Bei der chronischen Polyarthritis gilt die Regel, dass die Radiosynoviorthese eine langwirksame antirheumatische Therapie nicht ersetzen kann, sondern eine zusätzliche Behandlungsoption für solche Situationen darstellt, in denen beispielsweise die Basistherapie im Prinzip sehr gut greift, aber auf ein oder zwei Gelenke, aus welchen Gründen auch immer, nicht ausreichend wirkt. Wenn bei solchen Gelenken dann lokale Injektionen von Cortison (Cortisonspritzen ins Gelenk) jeweils nur kurz wirken, ist eine Radiosynoviorthese oft eine wirksame Behandlungsalternative.
Ein anderes mögliches Einsatzgebiet für die Radiosynoviorthese sind entzündliche Gelenkerkrankungen, bei denen nur ein Gelenk oder nur wenige Gelenke betroffen sind (Monarthritis oder Oligoarthritis) und bei denen aus den unterschiedlichsten Gründen eine langwirksame antirheumatische Therapie nicht durchgeführt werden soll oder kann. Auch hier bietet sich die Radiosynoviorthese an, wenn sich die lokale entzündliche Aktivität durch traditionelle Behandlungsmaßnahmen, u.a. auch hier lokale Cortisoninjektionen ins Gelenk, nicht kontrollieren lässt.
Die Entscheidung, ob eine Radiosynoviorthese durchgeführt werden sollte ("Indikationsstellung"), sollte im optimalen Fall in einer gemeinsamen Absprache von dem behandelnden Rheumatologen und dem Nuklearmediziner getroffen werden.
Radiosynoviorthese
Synoviorthese ist hergeleitet aus den griechischen Worten “Synovia” (Schleimhaut) und “Orthese” (Wiederherstellung). Gemeint ist eine Wiederherstellung von entzündlich veränderter Gelenkinnenhaut (z. B. im Kniegelenk) bei entzündlichen Gelenkerkrankungen, wie man sie u. a. bei rheumatischen Erkrankungen finden kann.
Grundlagen der Erkrankungen
Bei rheumatischen Erkrankungen kommt es nach heutigem Verständnis zu einer Reaktion des Immunsystems gegen Bestandteile der die Gelenkinnenhäute überziehenden Schleimhaut. Diese reagiert durch eine deutliche Verbreiterung und Absonderung von vermehrter Flüssigkeit, was sich für den Patienten durch die Bildung von Gelenkerguß bemerkbar macht.
Prinzip der Behandlung
Nachdem man ein geeignetes radioaktives Medikament (“Radionuklid”) in den Gelenkraum über eine Kanüle eingespritzt hat, werden die entzündeten Anteile der Schleimhaut bestrahlt und die oberflächlichen vergrößerten Schichten zerstört, ohne daß tiefer gelegene Schichten (im Gelenk das Knorpelgewebe) geschädigt werden. Die Strahlung bleibt auf die Schleimhaut beschränkt, weil die verwendeten Radionuklide eine maximale Reichweite ihrer Strahlung von wenigen Millimetern aufweisen. Darüber hinaus wird das in kolloidaler Form applizierte Nuklid von den oberflächlichen Schleimhautzellen aufgenommen und führt über natürliche Umbauvorgänge zu einer Verödung dieser Zellschichten. Somit wird ein Rückgang der Vergrößerung und der Entzündung der Gelenkinnenhaut erreicht.
Die in der Schleimhaut erzielte Herddosis ist abhängig von der applizierten Akivität, Energie und der Halbwertzeit der Radionuklide. Um eine adäquate Dosis bei unterschiedlicher Schleimhautdicke in den unterschiedlichen Gelenken zu erzielen, werden unterschiedliche Substanzen eingesetzt (siehe Tabelle). Die Menge der Aktivität des radioaktiven Arzneimittels richtet sich nach der Größe des Gelenkes und dem Ausmaß der entzündlichen Aktivität, die sich aus den Voruntersuchungen ergeben sollte.
Notwendige Voruntersuchungen
Neben einer ausführlichen Erhebung der Vorgeschichte des Patienten, dem klinischen Befund (Gelenkbeweglichkeit, Schwellung, Rötung, Schmerzen) steht eine eingehende internistische Untersuchung des Patienten im Vordergrund. Hier sollte es neben der Diagnosesicherung um die Frage der Notwendigkeit einer medikamentösen Therapie (Basismedikation) gehen. Die meisten der Patienten mit rheumatischen Erkrankungen haben jedoch zahlreiche Medikamente eingenommen, ohne daß sich die Beschwerden in allen Gelenken lindern ließen.
Weiterhin sollte in der Voruntersuchung ein aktuelles Röntgenbild des zu behandelnden Gelenkes in 2 Ebenen vorliegen, um Instabilitäten, die eventuell eine chirurgische Therapie nach sich ziehen würde, oder Knochentumoren auszuschließen. Desweiteren wird von nuklearmedizinischer Seite ein aktuelles Skelettszintigramm erforderlich sein
Skelettszintigramm
Die Bedeutung der Skelettszintigraphie wird von der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie folgendermaßen ausgeführt:”Die Skelettszintigraphie kann auch bei klinisch asymptomatischen Gelenken entzündlich bedingte Mehrbelegungen anzeigen und trägt damit zur besseren Kenntnis des Verteilungsmusters der befallenen Gelenke und zur Spezifizierung der Diagnose bei."
Dabei sollte diese Untersuchung in einer sog. 2-Phasentechnik durchgeführt werden. Hierzu wird dem Patienten in der Nähe des bildgebenden Kamerasystems eine radioaktive Phosphatverbindung in die Armvene injiziert. Unmittelbar im Anschluß werden sowohl Ganzkörper- als auch Einzelaufnahmen der Gelenke gewonnen. Das Prinzip der Beurteilung eines entzündlich veränderten Gelenkes beruht auf der Tatsache, daß sich im Zuge der Gelenkveränderung eine deutliche Mehrdurchblutung und damit eine Mehranreicherung der radioaktiven Substanzen in den frühen Aufnahmen erkennen läßt. Die Spätaufnahmen nach 2-3 Stunden sollten Information über möglicherweise zusätzlich vorliegende degenerativ-arthrotische Schäden erbringen.
In Einzelfällen sollte vor der Radiosynoviorthese auch eine Kernspintomographie des zu therapierenden Gelenkes erfolgen
Indikationen
Die Hauptindikation für eine Radiosynoviorthese sind entzündlich veränderte Gelenke bei rheumatischen Grunderkrankungen. Aber auch vermehrte Gelenkergüsse, z. B. nach einer Operation an einem Gelenk oder die Mitbeteiligung der Gelenke bei Psoriasis oder Morbus Bechterew stellen Indikationen für eine Radionuklidtherapie dar.
Kontraindikationen
Als Kontraindikation gelten Schwangerschaft, Laktation und jugendliches Alter. Außerdem sollte eine Radiosynoviorthese nicht bei instabilen Gelenken mit Knochendestruktion, massiven Einblutungen in die Gelenke sowie lokaler Infektionen in der Umgebung der Injektionsstelle erfolgen.
Praktische Durchführung
Grundsätzlich kann die Radiosynoviorthese ambulant durchgeführt werden. Vor Injektion des Radionuklides muß mittels einer Gabe von Röntgenkontrastmittel unter einer Röntgeneinrichtung die richtige Lage der Punktionsnadel sichergestellt werden. Erst dann darf das radioaktive Arzneimittel gespritzt werden. Nach der Punktion muß die Injektionsstelle mit einem sterilen Wundverband abgedeckt werden. Um ein Abströmen der Radionuklide über die Lymphbahnen zu verhindern, muß aus strahlenhygienischer Sicht das behandelte Gelenk für etwa 48 Stunden ruhiggestellt werden. Bettruhe und die Gabe von blutverdünnenden Mitteln sind nicht erforderlich.
Strahlenexposition
Eine genaue Feststellung der Strahlenexposition ist nicht möglich. Die absorbierte Dosis ist nicht nur abhängig vom verwendeten Radionuklid und der applizierten Akivität, sondern auch von der Nuklidverteilung im behandelten Gelenk und der Dicke der entzündlich veränderten Schleimhaut. Bei richtiger Anwendung ist jedoch die Wirkung der radioaktiven Substanz nahezu nur im Gelenk vorhanden, so daß eine nennenswerte Belastung des Gesamtorganismus nicht vorliegt. Neben den Nebenwirkungen einer Gelenkpunktion, die sich auch aus der Orthopädie oder Chirurgie mit lokaler Infektion, Blutung und Nervenverletzung ergeben, ist mit keinen zusätzlichen unerwünschten Wirkungen zu rechnen.
Ergebnisse
Der endgültige Erfolg der Radiosynoviorthese ist nicht vor 3-4 Monaten nach der Therapie wegen der protrahierten Wirkung zu erwarten. Eine homogene und ausreichende Nuklidverteilung vorausgesetzt, ist die Erfolgsrate der Radionuklidtherapie hoch und wird zur Zeit in verschiedenen Kliniken erneut validiert. Je nach Gelenkzustand sind nach der Radiosynoviorthese bei 40-80% der Patienten innerhalb von 3-4 Monaten eine subjektive Verbesserung sowie Rückgang der entzündlichen Symptome, wie Schmerzen und Schwellung, zu erwarten.